Wer kennt sie nicht, die Aufschieberitis? Sie zeigt sich fast jedem von uns mehr oder weniger häufig, mehr oder weniger heftig, in vielen verschiedenen Lebensbereichen. Von der krankhaften Form, der Prokrastination, möchte ich hier nicht so ausführlich schreiben - sie ist daran zu erkennen, dass sie über längere Zeit auftritt und das Alltagsleben, die Arbeit oder die sozialen Bindungen massiv beeinträchtigt.
Mir geht es heute um das Phänomen, dass wir das Ausfüllen der Formulare für die Steuererklärung bis zum letzten Tag vor uns her schieben - eigenartigerweise auch dann, wenn wir eine Rückzahlung zu erwarten haben. Studenten lernen intensiv, eventuell die Nächte durch, wenige Tage vor der entscheidenden Prüfung.
Eine wichtige E-Mail wandert im Posteingang immer weiter nach unten, wir wollten sie längst beantworten. Unangenehm daran ist, dass wir die zu erledigende Aufgabe nicht einfach vergessen können in den Tagen des Aufschiebens, sondern immer wieder daran denken müssen - oft genug mit einem unangenehm mulmigen Gefühl im Magen. Es plagt uns, wir tun es dennoch nicht. Da ist es völlig unerheblich, ob wir uns von der Erledigung einen Vorteil erhoffen oder nicht.
Sehr interessant sind die Ausreden, die wir für das Verschieben finden. Auf Platz 1 ist wahrscheinlich "ich habe keine Zeit". Tatsache ist, ich habe jeden Tag 24 Stunden Zeit und es liegt zum Teil an mir, wie ich sie verbringe. Na gut, ich muss schlafen und ich muss auch arbeiten gehen. Mit Fahrzeit und vielleicht einer halben Überstunde hält mich mein Beruf etwa 10 Stunden am Tag vom Erstellen meiner Steuererklärung ab. Bleiben noch 14 Stunden übrig, 7 davon schlafe ich in der Regel. Am Wochenende schlafe ich etwas länger, dafür muss ich nicht ins Büro. Nun berücksichtigen wir noch die vielen kleinen Pflichten und Freuden des Alltags, mit denen wir beschäftigt sind - da bleibt schon noch Zeit übrig. Bei dem einen mehr, bei dem anderen etwas weniger. Also Mangel an Zeit ist schon einmal kein Argument.
Platz 2 in der Liste der Ausreden ist wohl "mir geht's grad nicht so gut". Die Ausprägung ist individuell, mal ist es der Kopf, mal der Magen, mal eine unerklärliche Infektion, die uns von der Erledigung einer wichtigen Aufgabe abhält. Das läßt sich in den meisten Fällen schlecht widerlegen. Betrachten Sie Ihr Unwohlsein etwas genauer. Vielleicht merken Sie schnell, dass es direkt mit der zu erledigenden Aufgabe zusammenhängt und deshalb nach Erledigung vermutlich verschwunden sein wird. Sollten Sie wirklich krank sein, ist das natürlich zunächst auszukurieren.
Auf Platz 3 setze ich mein Lieblingswort: Vermeidungsfleiss. Haben Sie auch schon einmal die Fenster geputzt, anstatt den wichtigen Brief an Ihre Versicherung zu schreiben? Den Keller aufgeräumt, obwohl nächste Woche die Abschlussprüfung ins Haus steht? Wir kommen auf die ungewöhnlichsten Ideen, wenn wir unter einer akuten Aufschieberitis-Attacke leiden. Meistens überfordert uns die anstehende Aufgabe. Wir wissen nicht, wie wir die Sache am besten angehen sollen. Ein Reflex ist, erst einmal Ordnung zu schaffen. Das ist eine gute Reaktion, wenn das Aufräumen nicht so lange dauert, dass danach keine Zeit mehr für das eigentliche Vorhaben bleibt.
Was hilft nun gegen Aufschieberitis? Hier sind meine besten Methoden:
1. Ich schreibe eine To-Do-Liste. Sie sollte nicht mehr als 10 Positionen enthalten, die in maximal einer Woche erledigt werden können. Mein Ziel ist immer 80%. Wenn ich die geschafft habe, bin ich mit mir zufrieden. Erliegen Sie nicht der Versuchung, die Liste zwei Mal in Schönschrift abzuschreiben oder eine ausgeklügelte Excel-Liste mit ermitteltem Zeitbedarf zu entwerfen.
2. Ich versuche, mich an die 72-Stunden-Regel zu halten. Was ich innerhalb von 72 Stunden nicht beginne, hat nicht viel Aussicht auf baldige Erledigung. Wenigstens den ersten Schritt sollte ich tun. Den zweiten Schritt packe ich dann in den nächsten 72 Stunden an.
3. Große Vorhaben teile ich in kleine Portionen auf (= Salami-Taktik). Damit erscheint der Berg kleiner und leichter zu bewältigen. Wenn ich heute für meine Steuererklärung nur die Belege sammeln muss, traue ich mich eher daran. Morgen sortiere ich die Belege und fülle das Formular schon einmal mit den Grunddaten aus. Die Fertigstellung plane ich für übermorgen ein.
4. Ich setze mir ein realistisches Ziel. Wenn ich weiß, daß mir beim Stricken eines Herrenpullovers nach dem Rückenteil schon die Puste ausgeht, stricke ich lieber etwas Hübsches für meine Enkelin. Oder ich stricke Socken, die sind in der Verwandtschaft sehr beliebt und ruckzuck fertig.
5. Ich beginne mit kleinen, unangenehmen Aufgaben. Das ist ein tolles Gefühl, etwas erledigt zu haben, das man nicht so gern tut. Beim Bad putzen mache ich z.B. immer als erstes das Klo. Im Büro beschäftige ich mich zuerst mit der ungeliebten Ablage. Die ist schnell gemacht und ich habe Platz auf dem Schreibtisch für die größeren Projekte.
6. Ich verschiebe den Fokus auf das Positive. Anstatt zu denken "Bäh, ich muss mein Bad putzen", freue ich mich darauf, wie schön sauber es anschliessend sein wird.
7. Ich kündige die Erledigung der Aufgabe an. Das verstärkt die Verpflichtung, macht natürlich auch ein wenig Druck. Mir hilft es.
Die Erledigung von aufgeschobenen Vorhaben stärkt in jedem Fall Ihren Psycheps. Was für ein erhebendes Gefühl, endlich den Briefumschlag in den Postkasten des Finanzamtes zu werfen! Wie schön, wenn ich die E-Mail der netten ehemaligen Kollegin beantwortet habe. Wie toll mein aufgeräumter Keller aussieht! Naja, aussehen könnte - denn genau der wartet seit Wochen auf mich. Aber auch hier gibt es Aussicht auf bessere Zeiten, nächste Woche ist Flohmarkt in meinem Viertel und ich habe schon einen Platz reserviert.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihren Bemühungen. Bleiben Sie dran - erledigen macht glücklich!
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